Gleich vorweg: ich habe Flugangst. Und ordentlich. Nicht nur so mini.
Eingesperrt in einer Blechbox 12 Kilometer über dem Boden ist nicht so meins.

Aber es geht um mehr. Generell immer, heute im Besonderen.

Ein Vogel ist vom Himmel gefallen. Ein strahlender, mächtiger, schwarz-rot-gold-schillernder Vogel.

Und wir bluten. Wir haben Angst.

Keine Flugangst! Schön wär’s. Was uns heute dieses unbehagliche Flattern unter’m Herzen macht, ist nicht der Gedanke daran, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen zu können. Es ist nicht die Tatsache, dass da irgendwo, irgendwie, irgendwas passiert ist. Dass da „wer gestorben ist“. Passiert doch ständig. Schlimm, klar. Aber mal biste der Baum, mal biste der Hund. Dreimal schütteln, weiter geht’s. Soja Latte bestellen.

Es ist die erschreckende Anfassbarkeit des Heute, die uns die Kehle zuschnürt. Es ist so nah, so gefährlich nah dran. Auf einmal ist es nämlich dummerweise nicht mehr Ismahil-Thungeng-Spasakowicz-Airs Turboprop Maschine aus 1962 – und es ist nicht am Arsch der Heide passiert, nicht verursacht durch Blitz und Donner, nicht durch einen Schurken mit TNT in der Unterwäsche – Es war hier. Es waren wir. Das und nichts sonst macht diese abartige, kalte Gänsehaut.
Und auf einmal gehen uns die Ausreden aus. Seelentröstende Selbstverarsche is’ out of stock. Dann müssen wir es sehen, wie es ist – Flugzeuge stürzen ab. Auch ein Deutsches. Auch auf Kurzstrecke. Auch ohne Unwetter. Ohne Terror.

Und drin sitzen Menschen. Und an einem Tag wie heute sterben sie. Jeder mit Gesicht, Leben, Liebe und einer Geschichte im Gepäck. Ein Vater, eine Cousine, ein bester Freund, eine Ehefrau. Ein Nachbar, ein Kollege. Einer von uns. Natürlich ist ein ausländisches Todesopfer nicht weniger tragisch als ein deutsches. Nur weiter weg. So dumm es auch sein mag.

Und wir kapieren:
Nicht mit Usbekistan-Air zu fliegen, reicht nicht. Es passiert hier. Es passiert uns. Auf einmal tut die Welt so weh.

Fliegen ist sicher. Natürlich. Auf der Straße sterben ist wahrscheinlicher. Natürlich. Wenn du dran bist, bist du dran. Natürlich. Aber auch darum geht es nicht. Von den 150 Menschen, die heute von Barcelona nach Düsseldorf fliegen wollten, hatten bestimmt ein paar Angst. Und vielleicht hat ihnen jemand Geliebtes die Hand gehalten und versucht, sie zu beruhigen: „Es ist wahrscheinlicher, dass du im Lotto gewinnst und gleichzeitig vom Blitz getroffen wirst, als dass du bei einem Flugzeugunglück stirbst.“ Ende der Geschichte: Keine Lottofee, kein Blitz. Nur die Überreste eines gefallenen Vogels über den französischen Alpen.

C’est la fucking vie.

Und die doofe Schlampe Rationalität hat ein Argument weniger.

Sicher ist also nichts. Und jetzt?

Jetzt haben wir wie immer die Wahl. Nicht mehr fliegen? Wäre die wohl einleuchtendste Variante. Sich der Angst zu beugen, rettet im Zweifel vielleicht das Leben. Und dann? Was kommt dann? Nicht mehr essen, damit man sich nicht verschluckt? Nicht mehr rennen, damit man nicht fällt? Schwierige Entscheidung.

Zu verstehen, dass Sicherheit eine Illusion ist, macht’s leichter. Und der Wille und das Streben einer jeden kleinen Menschenseele nach Freiheit. Rationalität kann Angst nicht in die Flucht schlagen – und soll sie auch gar nicht. Angst ist gut, ihre Unbesiegbarkeit hält uns am Leben. Sie zu verjagen, wäre dumm. Aber wir können ihr liebevoll über den Kopf streicheln, bis sie sich einrollt und zum Schlafen ins Handgepäck kuschelt.

Und heute? Heute sind wir einfach nur traurig. Und dazu haben wir jedes Recht. Uns wurde eine Illusion geklaut. „Ach, uns passiert das schon nich‘!“ ist Vergangenheit. Jetzt stehen wir da, fast nackt, frierend, angeschlagen. Und dürfen traurig sein! Trauer zulassen und Freiheit aufgeben sind zwei völlig verschiedene Dinge.

Und das Tröstende ist –

Wenn nichts sicher ist, ist alles möglich.

Riecht ihr das? Der Sommer dreht seine Abschiedsrunde.

Die Geliebte liegt in bittersüßer Melancholie in diesen Tagen –
Die Luft gezuckert mit lauwarmem Herbstwind, der mal vorsichtig, mal eindringlich durch die Häuserschluchten zieht. Die Sonnenstrahlen küssen die Nasenspitzen noch immer, aber es liegt zarte Schwermut darin. Wie ein Rückzug auf Raten schleicht sich der goldene Sommer davon, um wie unbemerkt hinter den Toren zu verschwinden. Wir ignorieren es noch, wollen es nicht wahrhaben. Wissen tut man’s schnell, das Aussprechen ist das Problem.
Die Großstadt seufzt gemächlich, als immer früher die Sonne untergeht.
Das geliebte Berlin macht sich bereit.
Es riecht nach Abschied. Schon bald wird nichts mehr geblieben sein vom Strahlegrün, das unsere schockgefrostete Stadt jedes Jahr aufs Neue in letzter Sekunde rettet, der Wärme, die sie wachküsst wie Schneewittchen und uns auf Bordsteinen tanzen und Sternschnuppen gucken und am Ende der endlosen Nacht barfuß nach Haus gehen lässt, eingehüllt in flirrende Luft, getragen von bebender Magie. Es IST Magie.
Wenn Sommer ist, ist hier alles egal.
Alles ist ein bisschen besser, selbst das Schlimmste leichter zu ertragen.
Und aus gut wird perfekt.
Vielleicht sträubt sich Berlin deshalb so sehr gegen Eishagel, Rollsplitt und dunkle Tage, weil griesgrämiges Grau ihm einfach nicht steht.
Berlin ist alle Farben.
Und bald ist es wieder grau-weiß-ihbah.
Manch einem wird deshalb das Herz schwer in diesen allerletzten sonnig warmen Tagen, die unignorierbar das Salz der Vergänglichkeit in die Wunde des Träumers streuen, der von einer Sommerhauptstadt träumt, die niemals endet. Schrill und bunt und in Musik und Lampignons getaucht. 24/7, round-about-the-clock. Full time job.

Aber mal unter uns: wie langweilig wäre das?
Berlinliebe, das heißt, in guten wie in schlechten Zeiten, Sommerzeit, Winterzeit. Wie in einer guten Ehe: Halt auch mal Herbstlaub und Streusalz wegfegen, Eis kratzen und Schnee schaufeln. Und auch Sex machen, wenn Waschtag ist – und außer der Snoopy Unterhose nix mehr sauber war.
Die Geliebte will vergöttert werden, für die Scheiße wie für die Königlichkeiten. Zugegeben: es gibt keine Stadt in diesem Land, in der Winter weniger Spaß macht.
Aber wenn Berlin dann so dasteht, schäbig grinsend, in Bademantel und Lockenwicklern, an einem Tag, der an Hässlichkeit und Kälte, Dunkelheit und Dreck nicht zu überbieten ist und mir trotzdem einmal mehr das Herz schwer wird vor Liebe, dann weiß ich, wo ich Zuhause bin.
Da, wo immer Sommer ist.
Barfuß über den Bordstein tanzen geht nämlich auch im Schnee.
Aber obacht: Rollsplit!

Vorneweg: Herzlich Willkommen zu sicherem Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit.

Es gibt sie ja, die Frauen, die dieser Tage in hotpants und Trikot durch die Welt rennen und die ihre unfassbar abgegrenzte Individualität noch hipstermaniamäßig aufrüschen, indem sie natürlich NICHT für Deutschland sind. Zu uncool. Lieber für Equador. Oder England. (Wobei ich hörte, dieses Thema habe sich mittlerweile von selbst erledigt.)

Die Welt ist im Bällchenfieber. Und das zurecht. Ich kann ruhigen Gewissens behaupten, ich wäre wohl in einer Vorlesung für angewandte Kernphysik besser aufgehoben als bei einem Fußballspiel. Ich hätte auch mehr Ahnung davon. Und doch heule ich schon bei der Nationalhymne. Den Rest der Zeit versuche ich herauszufinden, ob wir die Roten oder die Weißen sind.

Bei der WM geht es nicht um Fußball. Nicht für uns. Nicht für mich. Es ist diese nackte Euphorie, der Gedanke daran, dass wir doch am Ende alle eins sind, der unpolierte Wunsch und Wille, stolz sein zu dürfen auf sein Land. Endlich wieder stolz sein! Kannste ja zu keiner anderen Zeit, ohne gleich danach verschämt auf den Boden gucken zu müssen wegen „du-weißt-schon-wem“.

All das zelebrieren wir mit einer kindlichen Glückseligkeit, die alles andere in den Schatten stellt. Und genau hier endet die grenzenlose Loyalität zum bunten Bällchen für mich. Denn so sehr ich euphorische Autokorsorunden um die Siegessäule, siegestrunkene Arschgrapschereien von attraktivitätstechnisch eher weit über ihren Zenit geratenen Ü40 Männern und Bierpfützen im Ausschnitt auch schätze – irgendwann is’ auch mal gut. Da wird die Mama böse. Denn König Fußball drängelt sich unverschämt vor wie Omma Kasupke an der Aldikasse – und keener sagt was. Ist halt WM. Fanmeile und so. (Wobei ich wirklich nicht nachvollziehen kann, weshalb man die schiefgekloppte Zahnreihe von Mehmet Scholl auch noch auf Riesen-LED sehen muss.)

Der Fuppes reißt mit einer gänzlich untypischen rotzfrechen Arroganz die Aufmerksamkeit an sich, der ich in Berlin niemals eine Überlebenschance von mehr als 0,3 Sekunden eingeräumt hätte. Überall anders, ja. Aber hier? So eine unangenehm heroische „Anfang Oktober in München“-Attitüde? Im Sinne von:

WAS? Kein Dirndl? RAUS!!!

Sei’s drum. Es ist WM. Take it or leave!

Who needs fashion week? Die kann doch nach Wedding. Und der Christopher Street Day, ja gut – dann ist das Finale eben dieses Jahr halt nicht am Brandenburger Tor. Der verlorene Sohn kehrt heim, endlich, nach vier Jahren langen Wartens. Da müssen die, die jedes Jahr brav antreten, halt mal im Gästezimmer schlafen. Erschreckend durchschaubar und angepasst.

Vielleicht ist es das Einwandererherz, das aus mir spricht – aber es gibt kaum eine schönere Zeit im Sommer für mich, als zur fashion week. Sie macht mich stolz, wie sie so dasteht, ihr Herz nahe an unserem – und allein deshalb gehört das verdammte Zelt ans Tor mit der Kutsche drauf! Punkt. Aus. Vielleicht ist sie nicht so populär wie die WM, sicher ist sie nicht so kommerziell. Aber seit wann sind denn das bitteschön Aspekte, die hier die Fäden ziehen? Der Berliner ist ja für vieles berüchtigt, aber Entscheidungen treffen aufgrund von rationalen Fakten gehört wohl kaum dazu. Fashion Week im Wedding? Da weißte als Mädchen auch nicht, ob du zuerst lachen oder kotzen möchtest.

Meine Stadt ist deshalb ein Nabel der Welt, weil es die eine Wahrheit hier nicht gibt. Kein richtig oder falsch. Hier tust du, was du willst – wo du willst. Weil dein Herz danach schreit. Du machst es zu deinem Ding. Deine Liebe, dein Berlin. Und das Beste daran ist, dass deine Hauptstadt niemals Ausnahmen macht. Es ist eine Art stillschweigende Vereinbarung, ein unsichtbares Versprechen, einmal quer über die Seele tätowiert. Und daran halten wir fest. Immer. Berlin macht keine Ausnahmen. Du willst frei sein? Sei es. Tu was du willst, wo du es willst.

Außer zur WM. Da laufen die Models dann nicht im Schatten des Fernsehturms, sondern des Gesundbrunnen Centers. Und die Hauptbühne des CSD steht vor der CDU statt am Pariser Platz. Denn es gibt so ein paar Dinge, an denen kommste auch in der freisten Stadt der Welt nicht vorbei: Fußball ist eins davon.

Haben wir unsere Seele verkauft? Vielleicht.
Sie entschuldigen mich – ich muss mein Trikot bügeln gehen.

Mit plastischem Schmerz ist das so eine Sache.
Wenn wir uns als Kind das Knie aufgeschlugen, gabs ein bisschen Jod drauf.
Das brannte wie die Hölle, kurz und schmerzvoll anstatt kurz und schmerzlos. 

Ein, zwei dicke Krokodilstränen später ein Pflaster drauf, einen Keks und ein Glas Saft. Und alles war gut. Aber jetzt?
Was tun wir, wenn uns ein Schmerz in die Knie zwingt?

Unsere Schrammen heilen damals wie heute unschuldig vor sich hin, geschützt vor allem Lärm und Gift der Realität, unter den Pflastern, die wir draufkleben.
Und am Ende wissen wir gar nicht recht, was jetzt schlimmer war: die Verletzung ansich, oder das Abziehen des Pflasters, das über der längst vernarbten, geheilten Wunde mittlerweile nur noch nutzlos an ein oder zwei fast unsichtbaren Härchen klebt.
Und die ziepen jetzt. Ordentlich. Und so behütet das verheilte Wir auch luftdicht verpackt vor sich hin geträumt hat – jetzt kommt wieder Luft dran. Und Sonne.

Was also hat sich verändert?

Die Wunden sind tiefer, machmal, in der Erwachsenenwelt.
Und sie sind zwielichtiger. Selten mehr rinnt ein Tropfen Blut über den Ellbogen. Keiner schlägt sich mehr die Lippe auf. Aber krümmen vor Schmerz tun wir uns doch. Der Geister wegen, die man niemals sieht.
Tun die unsichtbaren Wunden am Ende mehr weh, als die dramatisch ausschauenden?
Oder läuft es nach dem Prinzip „haste was, biste was“? Wer lang hat, lässt lang hängen? Glauben wir nur an das, was wir sehen?

Egal, welche am Ende die leidvollere Verletzung ist – wir bemerken im Wesentlichen doch vor allem zwei Momente in der Geschichte: den, in dem die Verletzung passiert –
und den, in dem sie wieder verschwunden ist.
Egal, ob wir sie kommen sehen oder sie unerwartet über uns hereinbricht, der Tatzeitpunkt überflutet uns eiskalt und spült uns an irgendein Ufer. Er versetzt uns in eine Schockstarre, die uns beschützt. Wir atmen. Wir leben. Wir spüren den Fall, sehen das Blut -wir fühlen: nichts.
Dann kommt das Jod – und wir schreien. Weil es uns dran erinnert, dass da nichts mehr ist, was uns zusammenhält. Dass wir verletzt sind.
Verbeult, zerkratzt, gebrochen, kaputt.
Wo wir grade noch Haut und Haar spürten, klafft jetzt die griesgrämige Wunde. Und sie brennt unter dem säubernden Jod. Wir beißen die Zähne zusammen, wie wir es gelernt haben, weil wir wissen, dass es wieder heilt. Und dass es vorher weh tun muss.
Dann kommen Pflaster, Keks und Saft. Und dann geht das Leben weiter, irgendwie.
Hier und da piekt es unter dem Pflaster. Nachts beim Umdrehen im Bett werden wir davon wach, schlagen die Augen auf, verwundert-erschrocken, legen eine Hand an die schmerzende Stelle – und schlafen wieder ein.
Ab und zu stoßen wir uns an einer Tischkante, dann blutet die Wunde ein paar dunkelrote Pünktchen ins Pflaster. Wir fluchen. Weil es so weh tut? Oder weil es uns dran erinnert, dass wir noch immer nicht verheilt sind.
Egal, wie groß Pflaster und Keks waren, zaubern kann keins von beiden.
Die wundersame Heilung braucht ihre Zeit.
Und wer die Kruste zu früh abknibbelt, provoziert den Rückfall. Frisches Blut aus alter Narbe trocknet schlechter und heilt langsamer als der erste Schnitt. Das wissen wir noch von früher. Aber manchmal ist es wie eine Sucht. Wir wissen, es wird bluten. Erneut. Wir wissen, es wird weh tun. Erneut. Und doch können wir unsere Finger nicht im Zaum halten. Wir verbrennen sie uns an alten Narben. Weil wir gar nicht wollen, dass sie heilen? Weil frisches Blut uns zeigt, dass wir noch leben? Weil wir diesen Schmerz schon kennen, den schauderhaft-schönen Erinnerungsschmerz. Weil man immer tun muss, was man nicht lassen kann.

Und so sitzen wir dann auf dem Badezimmerboden, mit dem frisch aufgeschlagenen Knie und fühlen uns, als wären wir eben erst in den Dreck gefallen. Dann wird uns klar, es ist ein Leben her. Unser Leben. Und das Tröstlichste daran ist, dass jede Wunde heilt. Ganz von selbst. Egal, wie viel Salz wir reinheulen. Und wenn es so weit ist, reißen wir das Plaster ab – und sind um eine verheilte Narbe reicher. Und sind es nicht die, die die besten Geschichten erzählen? Vielleicht. Zumindest, bis wir uns entschließen, den nächsten Fall zu riskieren. Denn wie langweilig wäre das Leben ohne Kekse! Und das Wichtigste: auch andere Wege haben schöne Steine!
Also: Hit me, baby – one more time.

Wenn wir klein sind, haben wir von nichts eine Ahnung. Und doch von allem. Wir malen das Bild, wie es uns gefällt: blaue Sonne, sieben Finger an einer Hand, Schnee im Sommer. Wir fragen, was wir wissen wollen, schamlos und rotzfrech, werden erfahrener und, das Wichtigste von allem: wir träumen. Ohne Grenzen.
Und dann, auf einmal, werden wir älter. Man zwängt uns in Korsetts und Mieder, erklärt uns, wie die Welt funktioniert. Was man macht. Und was man nicht macht. Was geht. Und was nicht geht. Da kriegen die ungezügelten Träumereien von damals dann meist gehörig einen vor den Latz geknallt. Die Flügelchen gestutzt, überlebt meist nicht viel vom Sternenstaub aus der Kuschelhöhle.
Aber manchmal, durch all die tosenden Tränen, den fauchenden, inneren Widerstand, der uns zur Ordnung peitscht, die Prügel und die Zähneknirscherei hindurch, schaffen wir es doch, einen Traum mitzunehmen ins Erwachsenenland. Er hat vielleicht ein paar Dellen, sieht zerknautscht aus, vielleicht fehlt ihm eine Ecke oder eine Farbe – aber er ist am leben. Und je nachdem, wieviel Herz über Kopf in uns steckt, rocken wir das kleine Teil. Wir pimpen es, kämpfen Schlachten, stehen irgendwann am Ziel: wir fangen die Sternschnuppe, die den Traum zur Realität macht. Oder besser, wir SIND die Sternschnuppe, auf der der Traum ins Ziel reitet. Die Goldmarie, der Hoffnungsträger der Träumenden.
Schweres Los, so ein Schatz zu sein. Denn da, wo Gold nicht glänzt, brennt es wie Feuer. Keiner trägt einen Traum so weit, ohne das Gift der Vernunft, der Verzweiflung, der Niederlage in den Venen zu tragen. Die kennen wir alle schon. Und wie gut! Und am Ende des Regenbogens warten statt des Goldtopfes dann die Helden, die keine sind.
Die Schafe im Wolfspelz, die Hunde, die bellen, aber nicht beißen. Die, die dir die Kraft aus dem Traum saugen, weil sie glauben, es sei auch ihrer. Die, die dich da gewöhnlich machen, wo sie dich einst einzigartig nannten. Die, die dich beschützen sollten und dich jetzt auf Messers Schneide über glühende Kohlen in die Wüste schicken.
Und da stehst du, verraten und verkauft, in Händen den zerschlissenen Traum, blutend und grau grämt er sich unter deinem Blick und hält ihm kaum mehr stand. Aber jede Träne, die du weinst, spült die farblose Angst des Versagens aus ihm raus. Jeder deiner Atemzüge lässt ihn weiterleben. Du stehst auf, steckst das Träumerle in die Tasche, wischt dir den Schlamm von den Knien und hältst die Nase wieder in den Wind. Klatschnass geregnet tapst du vorwärts, jeder Schritt in vergiftetes Blut getränkt, dass dir endlich aus den Adern fließt. So düster hattest du dir das nicht vorgestellt. Vorbei an den gefallenen Helden und Königen, hin in eine neue Welt, in der die Sonne scheint. Und nie warst du so geprügelt und gleichzeitig so frei.
Weil jeder Tritt dich nur stärker macht. Und am Ende ist das Einzige, was weh tut, das drüber Hinauswachsen. Denn so oft ist niederknien vor falschen Helden so viel leichter als zu verstehen, dass du zu niemandem höher hinauf kannst, als zu dir selbst. Dass du dein Nonplusultra bist.
Großwerden tut weh. Mehr als hinfallen, Ellenbogen aufschlagen, Sprunggelenk brechen. Und am meisten schmerzt es, bis du verstehst, dass dein Traum nicht gefallen muss. Er braucht nicht gut zu riechen, Rouge aufzulegen oder Doppelmanschette zu tragen. Und er braucht keinen Helden, so sehr er danach schreien mag. Er braucht dich. Pfeif sein Liedchen, halt ihn warm und trag ihn nach Hause. Wo immer das ist: wenn ihr da seid, wird er’s dir sagen.

(So müde von der Stadt, die nie schläft/ willkommen Zuhaus‘.)
Casper – Hinterland

Cool sein, oder so. „In“ sein. Oder so. King sein – sowieso.

In einer Stadt, die niemals schläft, schreien dir die unsichtbaren Geister in so mancher stiller Stunde schon mal hinterher.
Du hast so fucking viele Möglichkeiten. Nutze sie gefälligst!

Du hast so viel zu nehmen – was bietest du?

Dich, in der unzensiert-überindividuellen Version? Mit Zunge raus und Mittelfinger in die Welt hinaus? Oder dich, unsweetened? Mit ’nem kleinen Lächeln, aber bitte nicht zuviel Zahn und erst recht nicht zuviel Bein?
Dich, zurechtgeschnürt und hübsch verpackt mit Schleifchen? Oder in der „Mundwerk ist der geilste Vorbau“-Variante, in Rollkragen und mit eingravierter Dauerzornfalte zwischen den Augen? Wer immer du bist – für irgendwas hast du dich entschieden.

Und dann steht sie da, die große, furchtlose Stadt, genau, wie du sie lieben gelernt hast – bebend, pumpt Dreck und Liebe und Leben durch ihre Venen – und durch deine, wie einen freudigen Schuss ungiftiges, blütenweißes Heroin, du kriegst Gänsehaut – und sie findet dich entzückend.

Und dann atmest du ein, ganz langsam, und aus, noch langsamer, und ihre kalte Luft zischt durch dich hindurch.

Kurz fragst du dich, gehörst du hierher? Als der, der du bist – und die Antwort ist glasklar. Aber wie konntest du je zweifeln?

Morgens, kurz nach dem Aufwachen, wenn alles noch irgendwie still steht, wenn noch keine Hyaluronsäure die kleinen Fältchen unter deinen Augen versteckt, kein Concealer sich über die Geheimnisse und Schattenseiten gelegt hat, ist Zahltag. Dann nützt es alles nix – die Hose muss runter. Vor niemand geringerem, als uns selbst. Und hinter all dem glitzernden Kram, der unser Leben einhüllt, und sei es auch nur die schillernde Einfachheit unserer kleinen Welt, auf die wir so stolz sind – ganz ohne IKEA und alles in Edelstahl, oder Flomarktinterieur mit Antiquitätsgarantie – dahinter sind wir wir. Trotz Stempel.

Und während wir uns den Sandmännchensand aus den verschlafenen Augen reiben, fragen wir uns – wollten wir das? Ja. Vielleicht ein bisschen freier, vielleicht ein bisschen lauter, vielleicht ein bisschen geiler. Aber scheiße, JA.

Und wie können wir uns dessen so derart schnodderig-dreckig sicher sein? Weil niemand uns sagt, wie’s läuft. Wir haben nur das kleine große Feuer. Vielleicht war’s mal ein Inferno, das uns hierher trug, in die große Stadt. Oder es war mal klein und wurde groß. Kann ja auch sein, dass es mal ein Waldbrand war, der jetzt nur noch ein kleiner, lodernder Aschehaufen ist. So wie beim Grillen in Mamas Garten, 3 Stunden, nach dem alle längst satt sind und die Kohle dann ironischerweise perfekter denn je.

Dem Funken laufen wir hinterher, weil uns gar nichts anderes übrig bleibt.

Und da ist sie, die absolute Garantie. Das Amen in der Kirche, die Quadratur des Kreises.

Solange das Feuer brennt, sind wir noch da. Nicht als irgendwer – als der, der wir wirklich sind. Zwischen all den kleinen und großen Schubladen, die uns das Leben aufhält. Kein Papagei an der Kette, der nur noch vorgekauten Unsinn nachplappert. Kein Pfau, der bunt sein Rad schlägt und auf der Stirn den Satz „guck mal, wie toll ich bin“ tätowiert hat.

Zugegeben: Dem Feuer hinterzuflitzen, macht’s jetzt nicht unbedingt einfacher. Wer sich auf die Flamme verlässt, steht manchmal ganz schön im Dunkeln. Und so manch einer glaubt, er hätte gut dran getan, eine Hallogen-Taschenlampe mit auf die Nachtwanderung zu nehmen – oder den A5 mit Xenonlicht.

Aber irgendwann wird’s wieder hell – und wer den Mut hat, sich so lange ins Gras zu legen und seinem Herzschlag zu vertrauen, statt sich mit iOS7 orten und von einem Hubschraubersonderkommando abholen zu lassen, der wird immer ein Rock’n’Roller sein.

Nicht, weil er ’ne schwarze Lederjacke mit Zunge-Rausstreck-Motiv trägt.

Nicht, weil er ’nen fetten Anker auf den Oberarm tätowiert hat.

Sondern, weil er für alle Welt scheinbar blindlings losläuft, das Glück zu finden. Das große Königreich.
Und es interessiert ihn ’nen Scheiß, was die Meute redet.

Einer, der das kleine wilde Herz des Piraten und der Rebellin in sich trägt.

Nicht, weil irgendwer von ihm will, dass er Rock ist, oder Roll will. Sondern, weil’s brennt.

Und weil langweilig ja nun wirklich jeder kann.

Es ist Samstagnacht. Oder Sonntagfrüh. Je nachdem, von welcher Seite man das betrachten mag. Man steht, leicht angetüddelt bis schwer erheitert, mit der besten Freundin vor der eigenen Haustür und fummelt am Schlüssel. Über irgendwas lacht man unglaublich doll. Und laut. Und lange. Mit Hand auf dem Bauch. Und dann, als man wieder zu Atem kommt, fällt der Satz der Sätze:

„Ick hab sowat von Bock auf Pommes Majo Currywurst…“

Das Taxi ist längst weg.  Von der Mission „bis Zoo laufen“ ist angesichts der High Heel Problematik in Verbindung mit Kopfsteinpflaster und 3-7 Champagner Cocktails eher abzuraten.

Und dann passiert, was uns zivilisierten Menschen sorgfältig preußisch-eisern anerzogen wurde: der rationale, umgangssprachlich fälschlicherweise auch „vernünftig“ genannte Teil des Gehirns meldet sich.

„Ach komm, egal – ab ins Bett.“

Was ist los mit uns? Wo bleibt der brennende Funke der Verrücktheit, die Prise Unvernunft, die aus einem faden, geschmacklosen Alltagstrott das große Leben macht?

Das Verrücktsein ist uns abtrainiert worden. Systematisch!

Aber die Abende, an die man sich erinnert – die Geschichten, die man noch Jahre später beim Weihnachtsessen erzählt, das sind nicht die, die mit „Ach komm, egal – ab ins Bett“ enden.

Was hält uns? Sind wir so blind, zu glauben, uns bliebe eine unbegrenzte Zeit an lauen Sommernächten mit geliebten Menschen und Currywurst?

Was bilden wir uns ein, unser Strahlen, den Wunsch nach Glück und dem Brechen der kleinen, nur im Kopf des „Erwachsenen“ existierenden Getze, zu ignorieren?

Und noch schlimmer: zu ersetzen durch das Langweiligste, was der „vernünftige“ Kopf uns bietet?

Das Leben schreit nach gesunder Beklopptheit.

Nach Frühstücken in Disneyland und Rundreisen durch Irland – zu acht im Mini Cooper. Nach viel zu lauter Musik, noch lauterem Mitsingen in der U-Bahn, nach buntem Seelengraffiti und Emotionskonfetti. Nach Postkarten, die man „einfach nur so“ an die Lieblingsmenschen verschickt, nach Knutschen im Regen ohne Schirm und Barfussspaziergängen im Schnee und einem minimal zu laut geflüsterten „ich liebe dich“.

Einem Gefühl nachzugeben, für das es keine logische Rechtfertigung gibt, kostet sauviel Mut.
Einfach reinschmeißen, atmen, genießen. Ohne denken. Nur mit fühlen.

Unvernünftig, ne? Aber so unglaublich lebenswert.

Vielleicht riskiert man was. Vielleicht sogar Einiges. Geld, Ärger, ein gebrochenes Herzchen oder einen Schnupfen. Aber ist es all das nicht wert? Verdammte Scheiße, aber ja. Und das kaum merkliche Kopfschütteln der „Vernünftigen“ ist keine Rüge – es ist ein Triumph, den wir mit Stolz tragen. Ein Schulterklopfer der glücklichen Seelen, der Regenbogen und Sternschnuppen und Einhornreiter. Und das Herz schlägt Purzelbäume und singt „lieber verrückt, als einer von euch.“

Was die Currywurst angeht: die war an dem Abend noch fällig.

Das Leben ist nicht immer Pommes und Disko. Aber manchmal halt doch.

Was wäre, wenn wir morgen früh wach würden und alles wäre gut?

So richtig gut. So mit allem pipapo. Ja, ok – es wäre immer noch erst die zweite Woche des Monats und das Konto trotzdem schon im Minus. Der Zahnarzttermin für die Wurzelbehandlung ließe sich auch nicht wegzaubern. Die Maus müsste trotzdem in die KiTa, in der die Kotzerei durch die Luft fliegt und sich munter von einem Bauklotz zum nächsten verteilt.
Und der Chef, jaha! Der verkauft immer noch unsere beste Idee als seine.

Aber zurück zum Aufwachen.

Die Augen aufmachen – und alles ist gut. Ohne die ständige, kopfschmerzartig bohrende Sorge vor dem nächsten Tritt in die Fresse. Vor dem großen unfreiwilligen Kniefall, vor der sabbernd lauernden Katastrophe, die uns mitten im ruhigsten Moment des Glücks hinterlistig von hinten packt, uns eine Plastiktüte über den Kopf zieht und uns kidnappt in die Schlucht der Hoffnungslosen. Und da hängen wir dann wieder, im Dunklen. Planlos. Im strömenden Regen. Kniend, die Hände im Schlamm. Und was jetzt?

Aber Moment mal. Da sind wir ja gar nicht! Uns geht’s doch gerade gut. Was sollen diese gemalten Bilder von Hass, Angst und Zerstörung in unserer Birne? Weshalb macht es uns so an, die Katastrophe zu erwarten?

„Das Schlimmste erwarten, was Beste hoffen.“ Hört und liest man immer wieder. Was ein Bullshit. Was soll es bringen, das Schlimmste zu erwarten, außer, dass sich in unseren Gedanken genau das, was wir eben ums Verrecken NICHT wollen, manifestiert?

Der Supergau.

Also mal schick all das vergessen, lieber an was Schönes denken. Super Idee. Geht nur leider so schwierig. Und weshalb? Vielleicht, weil das Drama und die Kopfkinotragödie uns so unfassbar lebendig machen. Wer leidet, sich in die tiefsten Abgründe seiner Vorstellungskraft schmeißt, der fühlt sich so unverschämt extrem selbst. Auf eine pervers selbstverletzende Art und Weise.

„Guck mal, da bin ich – und ich leide, von Herzen. Meine Angst bringt mich beinahe um. Was soll ich nur tun? Es ist so aussichtslos. Hörst du mich, Leben? AUSSICHTSLOS.“

Und das innere Kind schreit und stampft und wälzt sich im Dreck. Emotionales Ritzen ist das. Das Fallen ist so leicht, das Hochklettern so schwer. Und so lassen wir uns plumpsen. Bis wir irgendwann auf die nassen Steine klatschen. Die kleine vernarbte Seele wird dadurch lebendig, aber kaum glücklich.

Wir neigen dazu, ständig den „Typen mit der Bratpfanne“ hinter’m nächsten Baum zu erwarten, der uns eins über die Rübe zieht, sagt „Du dachtest doch nicht ernsthaft, dass das Glück bei dir bleibt!“ und sich lachend verzieht. Und die Beweise dafür, dass es genauso kommen wird, sammeln wir uns täglich im kleinen Sorgenkörbchen unter’m Arm zusammen.
Stress im Büro, nervige Streiterei Zuhause, schon wieder zugenommen.
Vielleicht sogar ne Nummer krasser:
Gefeuert, geschieden, adipös.
Und da kann das Teufelchen im Kopf dann sagen: „SIEHSTE! Der Bratpfannenmann hatte Recht!“

Und verdammte Kacke, ja. Es ist nicht immer geil. Manchmal ist es sogar ein ziemlicher FUCK. Aber unter’m Strich ist das Alles hier auf dieser kleinen blauen Kugel doch ein Goldschatz!

Was ist mit Sonnenstrahlen, die beim Aufwachen auf der Nase kitzeln? Was ist mit Hundebabies mit Puschelfell, mit Zimtschneckengeruch, mit Münster TATORT gucken und Nagellack von CHANEL, mit Norah Jones, Wasserfällen, mit Kleinkindern, die vor Freude quietschen, wenn man ihnen zulächelt? Mit Abschiedsküssen und Begrüßungsumarmungen, mit Strandkörben und Schnee, mit „Wonderwall“ von OASIS und orangen Gerberas?

Isn’t all that worth it in the end? Ich denke, doch.

Und so geht die Schatzsuche los. Nach dem bunten Bündel dessen, das uns am Ende des ätzendsten Tages wärmt und sagt: „Dennoch!“

Kein Schimmer, wo der Plan zum großen Glück versteckt liegt.

Aber sicher ist: lieber klar kommen, als dreckig gehen.

Vielleicht ist cool bleiben ein guter erster Schritt. Wir haben nicht die Alufolie erfunden. Wir leben in dieser Welt und zaubern uns unser Leben zurecht. Wir machen einiges richtig, viel falsch – aber immer das Beste draus. Mit allen Möglichkeiten, die wir haben, formen wir das große Glück mit unseren 2 Händen. Weil wir in jede Richtung gehen können, in die wir wollen. Wir haben immer die Wahl. Und allein, das zu wissen, macht uns frei.

Morgen früh wach werden und alles ist gut. Weil’s eben einfach so ist. Weil wir’s schon hinkriegen werden. Raus aus der Kuschelzone. Ab in die Feenstaubdusche.

Und wenn irgendwo ein schräger Bratpfannenfetischist hinter’m Baum lauert, wechselste halt unauffällig die Straßenseite.

Das große Leben. Vernunft, Sicherheit, Erfolg, klare Linien vs. Glück, Liebe, Verrücktheit, Spontanität, Risiko? Herzblutender Träumer oder emotionsresistenter Rationalist?

Die große Menge redet uns im Allgemeinen gerne ein, wir müssten vor allem eins: Stark sein. STARK. Was heißt das denn? In der „normalen“ Welt (womit wir schon wieder beim nächsten hochgradig unvollständig definierten, fehlinterpretierten Adjektiv wären!) wohl soviel wie alles, bloß nicht schwach. Denn schwach ist ja böse. Schwache weinen. Schwach = Fehler. Igitt. Lieber bodenständig sein. Rational. Angepasst. Lieber alte Wege gehen, als auf neuen Pfaden stolpern. Aber ist das nicht das genaue Gegenteil von „stark“? Ist Stärke nicht vielmehr, an sich, seine Ziele und seine Träume zu glauben, so bekloppt sie der Welt auch erscheinen mögen? Sind nicht WIR allein diejenigen, die unsere eigenen Grenzen bauen? Liegt die Reichweite des Möglichen nicht an der Vorstellungskraft des Betrachters?

„Folge deinem Herzen“, sagt man. Aber wo ist der Weg? Der, der uns wirklich zu uns selbst führt. Abseits des ganzen großen Spagats zwischen dem, der wir sein wollen – und dem, der wir glauben, sein zu müssen. Für die anderen – oder auch für uns? Im real life, bei facebook, twitter, instagram. „Guck mal, wie cool ich bin.“ Oder so. Irgendwie.

Wie oft treten wir auf der Stelle, machen uns selbst das Leben schwer, fallen wieder und wieder und wieder mit den Knien in den Schotter. Manchmal, weil wir gar nicht anders können – manchmal auch, weil wir gar nicht anders wollen. Woher kommt die Kraft, der Mut, das Durchhaltevermögen, für das zu kämpfen, was wir wirklich wollen? Links und rechts vom Weg stehen sie, die Geister der Vergangenheit, die so oft auch die der Gegenwart sind, und sie zerren an unseren Ärmeln und Händen, sie locken uns mit Versprechen und falschen Bildern an den Rand, manchmal auch abseits des Weges auf den falschen Pfad.

Und ehe man sich umguckt, liegt man wieder da, wo man niemals mehr aufwachen wollte. Im dunklen Sumpf der alten Zeiten, der dummen Angewohnheiten, falschen Freunde, fiesen Erinnerungen oder des Schmerzes an etwas Verlorenes. Die ältesten Narben spucken wieder Blut. Und dachten wir nicht, wir seien endlich erwachsen geworden? So vernünftig, stark und besonnen, all das hinter uns gelassen zu haben? Und wenn wir dann fallen und wieder aufstehen, versprechen wir uns, es nie mehr so weit kommen zu lassen. Dass wir uns beschützen werden, vor all dem, was uns nach unten zieht: Missachtung, Herzschmerz, Kohlenhydrate. Wir wollten doch ganz anders sein! Nicht mehr schwach. So ganz nah bei uns und unseren Träumen, mutig, stark und kämpferisch, tapfer und kühn genug, die Konsequenzen zu tragen, die das alles mit sich bringt. Und jetzt sitzen wir hier, ziehen uns wieder an den eigenen Haaren aus dem Sumpf – unter Tränen, Zweifeln, Schweiß – und sind doch wieder ein kleines Bisschen schlauer. Und vielleicht jetzt bereit für die große Reise. Oder wir brauchen noch einen Kniefall. Oder 2. Wir fahren das Karussell solange, wie unser Charakter zu der Musik des Dramas tanzt, das wir uns bauen. Und ist es nicht auch schön, das Suhlen im Schmerz? Manchmal ja. Bis es dann irgendwann gut ist. Dann ziehen wir los. Und gucken nicht mehr zurück.

Die Heldenreise ist so voll von Steinchen, die im Karibikurlaub unter den Flip Flops drücken, von Angstkrümeln unter dem Frühstückstisch und Zweifelstreuseln auf dem Fantakuchen. Was fürchten wir? Falsch sein. In Entscheidungen, in Art und Weise, in Liebe und Leben. Geleitet von dem, was und wie Andere uns sehen, fühlen, wollen könnten, verlieren wir uns vielleicht in einem Moment noch völlig – und wir fallen, weil uns hier und jetzt gar nichts anderes übrig bleibt. Weil wir nicht wie die anderen sind. Deshalb kann deren Weg niemals unserer sein. Ihre Lösungen, Blickwinkel, Augenblicke gehören nicht uns – und sie malen nicht unser Bild. Deshalb macht uns unser Leben durch die Augen der anderen nichts außer Bauchweh. Und dann kommt irgendwann der Tag, an dem wir kapieren: so geht’a ja nun nicht! So fauchen wir den Drachen und Monstern einmal mehr ins Gesicht zurück, die unsere Träume und Gedanken in Feuer und zerplatzten Seifenblasen spiegeln. Wir schieben die graue Wolke beiseite und wechseln die Straßenseite, um in der Sonne zu gehen. Weil das Leben im Schatten nicht mehr reicht. Den ein oder anderen Koffer lassen wir am Wegesrand zurück, voll mit Habseligkeiten und geliebten Vergangenheiten. Weil wir mehr wollen. Oder ganz etwas anderes. Das, wonach hier und jetzt das Herz schlägt. UNSER Herz. Und wir wissen, dass es jetzt Zeit ist, zu paddeln. Die Anderen mögen es „unvernünftig“ nennen, „blindlings“ oder gar verrückt – whatever. Niemand hat gesagt, dass es leicht ist. Es kostet Mut. Es kostet Kraft. Aber wir laufen los, schnurstracks der Sonne entgegen. Weil wir fühlen, was auf uns wartet. Der Moment, in dem wir ankommen. Bei uns selbst. Zuhause. Wir haben alles, was wir brauchen, bei uns. Was nicht zu uns gehört, hält der Welle nicht stand. Und alles und jeder, der bei dem, der wir sind Platz hat, findet seinen Weg in unsere kleine große Welt. Wir zeigen all den Schwierigkeiten, mittelschweren Katastrophen der Vergangenheit, all den Sorgen und Ängsten den Mittelfinger. Denn hier uns jetzt finden wir für alles eine Lösung. Immer. Nicht, weil wir in einem perfekten Märchen leben. Aber, weil am Ende immer alles gut wird. Weil wir bei uns sind. Nur noch wir, all die Träume, die Möglichkeiten, ein bisschen Feenstaub – das ganz große Leben. Und selbst wenn wir dann irgendwann mal wieder wieder fallen – who cares at all 🙂

Nichts, was dich aufhält.