Gleich vorweg: ich habe Flugangst. Und ordentlich. Nicht nur so mini.
Eingesperrt in einer Blechbox 12 Kilometer über dem Boden ist nicht so meins.
Aber es geht um mehr. Generell immer, heute im Besonderen.
Ein Vogel ist vom Himmel gefallen. Ein strahlender, mächtiger, schwarz-rot-gold-schillernder Vogel.
Und wir bluten. Wir haben Angst.
Keine Flugangst! Schön wär’s. Was uns heute dieses unbehagliche Flattern unter’m Herzen macht, ist nicht der Gedanke daran, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen zu können. Es ist nicht die Tatsache, dass da irgendwo, irgendwie, irgendwas passiert ist. Dass da „wer gestorben ist“. Passiert doch ständig. Schlimm, klar. Aber mal biste der Baum, mal biste der Hund. Dreimal schütteln, weiter geht’s. Soja Latte bestellen.
Es ist die erschreckende Anfassbarkeit des Heute, die uns die Kehle zuschnürt. Es ist so nah, so gefährlich nah dran. Auf einmal ist es nämlich dummerweise nicht mehr Ismahil-Thungeng-Spasakowicz-Airs Turboprop Maschine aus 1962 – und es ist nicht am Arsch der Heide passiert, nicht verursacht durch Blitz und Donner, nicht durch einen Schurken mit TNT in der Unterwäsche – Es war hier. Es waren wir. Das und nichts sonst macht diese abartige, kalte Gänsehaut.
Und auf einmal gehen uns die Ausreden aus. Seelentröstende Selbstverarsche is’ out of stock. Dann müssen wir es sehen, wie es ist – Flugzeuge stürzen ab. Auch ein Deutsches. Auch auf Kurzstrecke. Auch ohne Unwetter. Ohne Terror.
Und drin sitzen Menschen. Und an einem Tag wie heute sterben sie. Jeder mit Gesicht, Leben, Liebe und einer Geschichte im Gepäck. Ein Vater, eine Cousine, ein bester Freund, eine Ehefrau. Ein Nachbar, ein Kollege. Einer von uns. Natürlich ist ein ausländisches Todesopfer nicht weniger tragisch als ein deutsches. Nur weiter weg. So dumm es auch sein mag.
Und wir kapieren:
Nicht mit Usbekistan-Air zu fliegen, reicht nicht. Es passiert hier. Es passiert uns. Auf einmal tut die Welt so weh.
Fliegen ist sicher. Natürlich. Auf der Straße sterben ist wahrscheinlicher. Natürlich. Wenn du dran bist, bist du dran. Natürlich. Aber auch darum geht es nicht. Von den 150 Menschen, die heute von Barcelona nach Düsseldorf fliegen wollten, hatten bestimmt ein paar Angst. Und vielleicht hat ihnen jemand Geliebtes die Hand gehalten und versucht, sie zu beruhigen: „Es ist wahrscheinlicher, dass du im Lotto gewinnst und gleichzeitig vom Blitz getroffen wirst, als dass du bei einem Flugzeugunglück stirbst.“ Ende der Geschichte: Keine Lottofee, kein Blitz. Nur die Überreste eines gefallenen Vogels über den französischen Alpen.
C’est la fucking vie.
Und die doofe Schlampe Rationalität hat ein Argument weniger.
Sicher ist also nichts. Und jetzt?
Jetzt haben wir wie immer die Wahl. Nicht mehr fliegen? Wäre die wohl einleuchtendste Variante. Sich der Angst zu beugen, rettet im Zweifel vielleicht das Leben. Und dann? Was kommt dann? Nicht mehr essen, damit man sich nicht verschluckt? Nicht mehr rennen, damit man nicht fällt? Schwierige Entscheidung.
Zu verstehen, dass Sicherheit eine Illusion ist, macht’s leichter. Und der Wille und das Streben einer jeden kleinen Menschenseele nach Freiheit. Rationalität kann Angst nicht in die Flucht schlagen – und soll sie auch gar nicht. Angst ist gut, ihre Unbesiegbarkeit hält uns am Leben. Sie zu verjagen, wäre dumm. Aber wir können ihr liebevoll über den Kopf streicheln, bis sie sich einrollt und zum Schlafen ins Handgepäck kuschelt.
Und heute? Heute sind wir einfach nur traurig. Und dazu haben wir jedes Recht. Uns wurde eine Illusion geklaut. „Ach, uns passiert das schon nich‘!“ ist Vergangenheit. Jetzt stehen wir da, fast nackt, frierend, angeschlagen. Und dürfen traurig sein! Trauer zulassen und Freiheit aufgeben sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Und das Tröstende ist –
Wenn nichts sicher ist, ist alles möglich.